Moratorium für Lützerath
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Wüst,
am Tagebau Garzweiler droht eine erneute Eskalation im Konflikt um die Braunkohle. Denn obwohl das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich dem generationengerechten Klimaschutz Grundrechtsrang einräumte, könnte das noch bewohnte Dorf Lützerath bald unter Zuhilfenahme eines polizeilichen Großeinsatzes zerstört werden. Kommen Sie dieser Zuspitzung zuvor, indem Sie ein Moratorium für Lützerath aussprechen, bis die Bundesregierung den Kohleausstieg auf 2030 beschleunigt und die Landesregierung in NRW eine neue Leitentscheidung verabschiedet.
In Ihrer ersten Regierungserklärung als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident gelobten Sie, „so viele Dörfer wie möglich erhalten“ zu wollen. Dennoch soll Eckhardt Heukamp von seinem landwirtschaftlichen Betrieb in Lützerath vertrieben werden, den er in vierter Generation betreibt. Dies ist heute nicht mehr vermittelbar. Weder ist die Braunkohle unter dem Dorf Lützerath energiewirtschaftlich notwendig, noch darf sie angesichts der Klimakrise verfeuert werden. Zudem wohnen in Lützerath mittlerweile wieder mehrere hundert Personen, die sich für Klimagerechtigkeit, den Schutz der wertvollen landwirtschaftlichen Böden und des regionalen Wassers einsetzen.
Sollte die Landesregierung die polizeiliche und politische Zuspitzung am Tagebau Garzweiler suchen, droht ein „zweiter Hambacher Forst“: Bilder von Polizist*innen, die über Wochen hinweg junge Menschen in Sichtweite der Kohlebagger aus Baumhäusern räumen, brannten sich schon einmal ins kollektive Bewusstsein ein. Derzeit ist der gesamte Hambacher Polizeieinsatz als rechtswidrig eingestuft – solch ein Vertrauensbruch darf gerade in diesen Zeiten nicht wiederholt werden. Wir sorgen uns um die Menschen, die sich für Lützerath engagieren. Als Ministerpräsident sind Sie in der Verantwortung, dafür Sorge zu tragen,
dass der sozialen Frieden der Region nicht gefährdet wird, Menschen durch eine polizeiliche Großräumung nicht schon wieder traumatisiert und verletzt werden, und Polizist*innen nicht in sinnlosen Einsätzen verheizt werden.
Mit einem Moratorium für Lützerath können Sie den sozialen Frieden im Revier wahren und Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat erhalten. Die Bundesregierung bereitet einen Kohleausstieg bis spätestens 2030 vor, der eine wesentliche Reduktion der aus Garzweiler II förderbaren Kohlemenge bedeutet. 2015 hat sich Deutschland mit dem Übereinkommen von Paris verpflichtet, effektive Maßnahmen zu ergreifen, um die Klimakrise aufzuhalten. Nordrhein-Westfalen trägt als Industrie- und Kohleland eine besondere Verantwortung, der wir uns nicht entziehen dürfen. Der weitere Abbau von Kohle im Rheinischen Braunkohlerevier muss so begrenzt werden, dass er den internationalen Zielen entspricht und die kritische 1,5 Grad Grenze nicht überschreitet.
Auf Landesebene muss eine neue Leitentscheidung die Dynamik des Kohleausstiegs abbilden und ein Ende von Enteignungen und Zwangsumsiedlungen verankern. Außerdem muss sie eine Neuplanung der Tagebaufolgelandschaften beinhalten, die dem klimawandelbedingten Wassermangel Rechnung trägt. Es ist energiewirtschaftlich und klimapolitisch zwingend notwendig, die Abbaugrenze des Tagebau Garzweiler neu auszutarieren. Mit einem Moratorium für Lützerath verschaffen Sie diesen demokratischen Prozessen Zeit und Raum.
Unsere Region braucht Dialog und Versöhnung. Zu Recht verlangen die Menschen von der Politik Weitsicht und Verantwortung. Konfrontation und Eigeninteresse müssen von Kooperation und Gemeinwohl abgelöst werden. Das Ende des Kohleabbaus läutet den Beginn einer neuen Art des Wirtschaftens und Zusammenlebens ein. Hierfür sind gewachsene Dorfstrukturen, wertvolle Böden, artenreiche Biosysteme und Waldstrukturen an allen Tagebauen zu schützen und zu pflegen. Mit einem Moratorium für Lützerath können Grundsteine gelegt werden für echte Beteiligung und demokratische Partizipation.
Herr Ministerpräsident, verkünden Sie ein Moratorium für Lützerath!
Mit freundlichen Grüßen
Antje Grothus, ehemaliges Mitglied der Kohlekommission der Bundesregierung und Landtagskandidatin im Rhein-Erft-Kreis II
Kathrin Henneberger, Mitglied des Deutschen Bundestages für Mönchengladbach