Einzeldienstreise von Kathrin Henneberger MdB als Begleitung der Reise von BMin Svenja Schulze nach Mauretanien und Nigeria (14. – 17. August 2023)
Auf Einladung von BMin Schulze begleitete ich ihre Dienstreise vom 14. – 17. August 2023 nach Mauretanien und Nigeria. Diese Reise tätigte ich insbesondere als zuständige Berichterstatterin im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für die Themen Menschenrechte, nachhaltige Entwicklung und Klimagerechtigkeit.
Der zweite Reisestopp sollte in Burkina Faso liegen, wurde aufgrund des Putschs in Niger allerdings nach Nigeria umgeleitet, wo die Ministerin in Nigerias Hauptstadt Abuja ausführliche Gespräche mit Vertreter*innen der ECOWAS-Kommission führte, um sich darüber auszutauschen, wie Deutschland die Bemühungen von ECOWAS für eine friedliche Lösung der Krise im Nachbarland Niger unterstützen kann.
Ursprünglich sollten die Schwerpunkte der Reise auf folgenden Themen liegen: Wirtschaftliche Entwicklung für die junge Generation im Sahel, soziale Sicherung und Ernährungssicherheit sowie Daseinsvorsorge, etwa der Zugang zu Wasser sowie die Auswirkungen der Klimakrise in der Sahelregion. Zu diesen Themen fanden intensive Gespräche und Besuche von besonderen Initiativen statt. Die aktuelle Situation in Niger war jedoch ein beständiger Begleiter und zusätzlicher Schwerpunkt der politischen Gespräche. In den Gesprächen spielte die sich verschlechternde Sicherheitslage in der Sahelzone insgesamt eine zentrale Rolle.
Nach Mali und Burkina Faso ist Niger das dritte Land, das einen militärischen Putsch erlebt. Zum Zeitpunkt der Reise drohte das politische und wirtschaftliche Bündnis ECOWAS (Economic Community of West African States – bestehend aus 15 westafrikanischen Staaten) zeitnah mit militärisch zu intervenieren. Die nigrische Bevölkerung war bereits vor dem Putsch akut von Nahrungsmittelknappheit betroffen. Aktuell steigen die Lebensmittelpreise rasant und da auch die Stromverbindung aus Nigeria gekappt wurde, leidet die Bevölkerung noch mehr unter Mangel an Strom, Wasser und Nahrung. Präsidenten Mohamed Bazoum wurde von seiner militärischen Leibgarde gestürzt, nachdem er Reformen und personelle Veränderungen durchführen wollte. „Es muss eine diplomatische Lösung geben!“ ist eine Botschaft die wir in Mauretanien sowie aktuell in Nigeria mit unseren Gesprächspartner*innen aus den Regierungen sowie besonders aus der Zivilgesellschaft hören. Käme es tatsächlich zu einem bewaffneten Konflikt würde dies die ganze Region weiter destabilisieren und Menschen wären zur Flucht gezwungen.
Grundlegend ist es von zentraler Bedeutung aktuelle Konflikte mit Blick auf die koloniale Vergangenheit europäischer Staaten in der Region zu betrachten. In der Kolonialzeit wurden massiv Menschenrechte verletzt und staatliche Grenzen gezogen, die nicht mit der Lebensrealität der dort lebenden Menschen übereinstimmen. Ein Beispiel ist hierfür die Grenzregion zwischen Nigeria und Niger, in der Bevölkerungsgruppen über die Grenze hinweg enge familiäre, wirtschaftliche und freundschaftliche Verbindungen halten. In Nigeria wurden wir bei einem Treffen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren auf diese Situationsowie auf die Gefahren für die Bevölkerung bei einer möglichen Militärintervention hingewiesen.
Ein Thema, das in Gesprächen auch immer wieder aufgegriffen wurde: Die Klimakrise in der Sahelzone verstärkt bereits Landnutzungskonflikte und führt dazu, dass Menschen gezwungen sind ihr Zuhause zu verlassen, da Verwüstung, Dürren und Hitzewellen ihre Lebensexistenz zunichte machen. Besonders zwischen nomadischen Bevölkerungsgruppen mit Vieherden und Nahrungsmittel anbauender Bevölkerung kommt es aufgrund der geringer werdenden Verfügbarkeit von fruchtbarem Land zu Konflikten. Die Auswirkungen der Klimakrise beeinflussen auch die Sicherheitslage der Bevölkerung der ganzen Sahel-Region. Die Realität der Klimakrise, Klimaschutz und Klimaresilienz (besonders bei Wasserverfügbarkeit, Landwirtschaft und Gesundheitswesen) war ein beständiges Thema bei den Gesprächen mit Vertreter*innen von Regierungen und Organisationen.
Folgende Projekte und politische Akteure konnten wir besuchen:
Gespräche mit Außenminister Ould Merzoug, Außenministerium (Nouakchott)
Wir hatten die Gelegenheit zu Gesprächen mit Außenminister Ould Merzoug im Außenministerium von Nouakchott. In diesen Gesprächen haben wir die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen in den bilateralen Beziehungen erörtert. Wichtige Themen war die Weiterentwicklung des Sahel-Allianz-Arbeitsprogramms mit dem Programm der G5-Präsidentschäft sowie die aktuelle Lage in Niger und mögliche Auswirkungen auf die ganze Sahelregion.
Gespräch mit Wirtschaftsminister Saleh, Wirtschaftsministerium
Ein weiteres wichtiges Treffen fand im Wirtschaftsministerium statt. Unsere Diskussion konzentrierte sich auf wirtschaftliche Angelegenheiten und Entwicklung. Wir sprachen zudem über die Elektrifizierung besonders der ländlichen Regionen, dem Bewahren und der Förderung von Wertschöpfung und Kreislaufwirtschaft sowie die Entwicklung des Fischereisektors. Ein Thema war auch der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur im Norden des Landes. Dort soll mit Windenergie Wasserstoff und Ammoniak für den Export hergestellt werden. Ich sehe Projekte kritisch, die nicht die Energiesicherheit der Bevölkerung berücksichtigen und als erstes sicherstellen. Menschen, besonders in ländlichen Regionen, haben noch keinen oder ungenügenden Zugang zu Strom. Windparks im Norden, die bereits existieren, können aufgrund der Netzinstabilität ihre Energie oft nicht einspeisen. Wenn Wasserstoffpartnerschaften auch mit Mauretanien geschlossen werden, ist es wichtig, dass es zu keiner weiteren kolonialen Ausbeutung der Region kommt.
Besuch des Kleinfischereihafens gemeinsam mit Fischereiminister*innen
Wir unternahmen einen Besuch des Kleinfischereihafens, begleitet durch den mauretanischen Fischereiminister. Dabei konnten wir uns einen Einblick in die handwerklichen Boote und die örtlichen Lagerungs- und Weiterverarbeitungsstätten verschaffen. Es folgten Gespräche mit Vertreter*innen des Fischereiministeriums, der Küstenwache, der Hafenverwaltung sowie mit Fischern und Frauen, die in der Fischverarbeitung tätig sind. Vor Mauretanien finden sich reiche Fischgründe. Der Öl-Konzern Shell prüft hier aktuell die Erschließung von Offshore-Erdölvorkommen, direkt in der Nähe des Nationalparks. Mit Blick auf die Öl-Katastrophen in anderen Regionen der Welt, sehe ich dieses Vorhaben von Shell sehr kritisch, da bei Unfällen und dem Austreten von Öl die Biodiversität der Region und die Lebensgrundlage der Küstenbewohner*innen massiv gefährdet wären. Um die Fischbestände besser zu schützen, wurden an der Küste Schonzeiten errichtet sowie der Nationalpark, der vom Land ins Meer reicht und auch ein wichtiges Gebiet ist für Zugvögel. Der Fischfang wird in Holzbooten primär von Männern ausgeübt, an der Küste werden die Fische dann den Frauen übergeben, die sich um Verkauf sowie die weitere Verarbeitung kümmern. Zentrum hierfür sind die Kleinfischereihäfen Nouadhibou und Nouakchott. Der Fisch wird neben dem lokalen Verkauf aufgrund des Fehlens von ausreichenden Kühlketten zu einem großen Teil zu Fischöl und Pulver für den Export verarbeitet. So steht der größte Teil des Fischfangs nicht als Nahrung für die Bevölkerung zur Verfügung, was ein Problem darstellt, da in Teilen Mauretaniens Nahrungsmittelunsicherheit besteht. Vertreter*innen der Frauenkooperativen in Nouakchott berichteten mir, dass sie mit dem Trocknen sowie Fermentieren von Fisch versuchen, ihn für den weiteren Verkauf und Transport im Land haltbar zu machen.
Besuch des vom UNHCR betriebenen Registrierungszentrums für Geflüchtete:
Im Rahmen unseres Programms besuchten wir auch das Registrierungszentrum für Geflüchtete, das vom UNHCR betrieben wird. Wir erhielten Einblicke in die Arbeit von UNHCR und führten Gespräche mit Geflüchteten aus Mali. Des weiteren fand ein Austausch mit UNHCR-Mitarbeiter*innen statt, und wir hatten die Gelegenheit, DAFI-Stipendiaten zu treffen.
Mauretanien hat eine Bevölkerung von rund 4,6 Millionen Menschen und hat etwa 100.000 Flüchtlingen aus Nachbarländern, insbesondere Mali, aufgenommen. Es gibt Bemühungen Geflüchtete in die sozialen Sicherungssysteme zu integrieren, was es ihnen ermöglichen soll zu arbeiten, ihre Kinder zur Schule zu schicken und im Krankheitsfall versorgt zu werden.
Es wurde uns aber auch deutlich kommuniziert, dass die Infrastruktur der Unterbringung von ankommenden Geflüchteten unter Druck steht, genauso wie in der Grenzregion zu Mali, in den großen Flüchtlingslagern sowie in Gemeinden, die Geflüchtete aufnehmen.
Besuch der Berufsschule Riad
Unser Besuch führte uns zur Berufsschule Riad, die durch das BMZ finanziert wird. Wir erörterten Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten und wie beispielsweise bei der Ausbildung im Bereich erneuerbaren Energien neue Wertschöpfung entstehen kann. Die Energieversorgung der Menschen im Land muss sichergestellt werden. Wie dies funktionieren kann, besonders in ländlichen Regionen, zeigt Kadio Niang, die das Unternehmen Solar Ecobat gegründet hat. Das Unternehmen installiert Solaranalgen zur Selbstversorgung von Haushalten. Eine wichtige Grundlage für Elektrifizierung ist die Ausbildung von Techniker*innen und Handwerker*innen. In Riad wird mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Bau einer Berufsschule finanziert. Ab dem Schuljahr 2024/2025 sollen hier 2000 Schüler*innen unter anderem in Elektrotechnik und Erneuerbare Energien unterrichtet werden. Die hohe Abbruchquote führt in Mauretanien dazu, dass die meisten Kinder und Jugendliche nur 4,5 Jahre die Schule besuchen und 46% der erwachsenen Bevölkerung über 15 Jahren weder lesen noch schreiben kann.
Projektbesuch mit UNICEFzur sozialen Sicherung
Ein weiterer wichtiger Programmpunkt war der Besuch eines Projekts zur sozialen Sicherung, das mit Mitteln des BMZ unterstützt wird und von UNICEF durchgeführt wird. Dieses Projekt, bekannt als “Safia”, zielt darauf ab, die soziale Sicherheit in einem benachteiligten Stadtteil von Nouakchott (Dar Naim) zu stärken. Besonders junge Frauen und Mädchen finden hier die Möglichkeit, sich weiterzubilden und eigene Projekte aufzubauen, wie beispielsweise nachbarschaftliche urbane Gärten zur Selbstversorgung und Verkauf von Gemüse. Die Stärkung sozialer Sicherungssysteme im Sahel machen besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen resilienter gegenüber Missernten, Dürren und Arbeitslosigkeit. Aktuell haben nur 12% der Bevölkerung der Sahelzone Zugang zu sozialen Sicherungssystemen. Beim Verlust von Einkommen sowie bei besonderer Bedürftigkeit sind die Menschen primär auf ihre Familien angewiesen sowie im Notfall auf humanitäre Hilfe. In Mauretanien werden über ein von u.a. UNICEF durchgeführten Programm für Cash Transfer mit Schwerpunkt Haushalte mit kleinen Kindern, Säuglingen und Schwangeren, sowie Haushalten mit Familienmitgliedern mit Behinderungen ca. 100.000 Haushalte (über 600.000 Menschen) erreicht. Zudem gibt es für Trockenzeiten speziell angepasste Unterstützungsprogramme. Dies ist auch aufgrund der Auswirkungen der Klimakrise in der Region von größerer Bedeutung, da sich mit der Zunahme von Dürren die Lebenssituation der Menschen bereits massiv verschlechtert hat.